ISABEL VOLLRATH - PORTRAIT BY CARLA LANGNER
Ballettschläppchen, Kaffeesäcke, Fahrradschläuche. Nicht gerade die Materialien, die man bei einer anspruchsvollen Couture-Kollektion erwarten würde. Aber Erwartungen anderer will sie gar nicht erfüllen, dafür ist sie viel zu entschlossen. Ein Besuch bei Isabel Vollrath gleicht einer wilden Reise in prunkvollere Zeiten, aus denen man in die schnelllebige Industriegegenwart gerissen wird. Genau diesen Bruch hat Isabel in ihrer Meisterschülerkollektion „Lost and found St. Petersburg“ thematisiert und damit beim Baltic Fashion Award (BFA) den Preis für „Best innovative and visionary concept“ gewonnen.
Entgegen den klassischen Modezyklen, in denen Mode für einen anonymen Konsumenten entworfen wird, ist Isabel Vollraths Arbeit erzählerisch und von höchster handwerklicher Qualität. Ihr Ziel ist es, Kleidungsstücke zu entwerfen, die man liebt. Der Aufwand, den sie dafür betrieben hat, ist wohl kaum zu überbieten. Ihre Leidenschaft und Hingabe springen auf den Betrachter über.
Angefangen hatte alles mit einem vom DAAD geförderten Auslandsaufenthalt in St. Petersburg. Die Beobachtung der Stadt sollte ihr Meisterschülerthema werden. Im Gegensatz zu vorherigen Kollektionen, in denen sie sich vorwiegend mit der Stadt Venedig auseinandersetzte, stand aber diesmal nicht die Architektur, sondern die Bevölkerung im Mittelpunkt. Dementsprechend weist die Kollektion sowohl folkloristische Ansätze auf, als auch solche, welche die allgegenwärtige Armut widerspiegeln.
Beschäftigt hat sie auch die Frage nach dem Sinn ihres Berufes: „Es gibt doch schon alles. Warum sollte ich noch mehr entwerfen?“ Diesen Ansatz sieht man in den ersten Teilen der Kollektion, die fast ausschließlich aus gebrauchten Materialien besteht. Kaffeesäcke, Fahrradschläuche, ausrangierte Kostüme aus dem Opernfundus und nicht zuletzt Ballettschläppchen, aus denen sie Oberbekleidung mit einer eigenwilligen Struktur entwickelt hat. Der Bezug zum Kirov Ballett und den harten Entbehrungen der Tänzer hat sie visuell eingefangen. Bei der Betrachtung des Modells spürt man Beklemmung und Isabels Sensibilität für ihr Thema.
„Alles muss einen Bruch haben, sonst bleibt man stehen.“
“Zuerst dachte ich: das schaffe ich nie!“ Die Nominierung für den BFA kam völlig unerwartet. Denn für die 16 Outfits umfassende Kollektion blieben ihr gerade mal zweieinhalb Monate! Nach dem wieder gefundenen Sinn ihrer eigenen Profession versuchte sie sich in andere Berufe hinein zu versetzen. Zugleich verspürte sie den Wunsch nach einer starken Farbe, die ihre neue Kraft reflektiert. Gefunden hat sie dabei ein Material, welches die Exklusivität von Mode in Frage stellt. Gesponsert von der belgischen Firma CONCORDIA verwendete sie das leuchtend orangene Material, aus dem Müllmann-Uniformen gemacht sind. Andere Sponsoren waren das MODEINSTITUT Berlin und UNION KNOPF, die sie großzügig mit Knöpfen versorgt haben.
Isabels Kollektion ist vielschichtig. Dabei ist die Komplexität ihrer Arbeit auch auf den ersten Blick verständlich. Es wimmelt von Zitaten (russischer) Uniformen, ein Aufbegehren gegen die Seelenlosigkeit in der Modegestaltung und zugleich eine Aufforderung zum respektvollen Umgang mit Konsumenten und Ressourcen. Dies umfasst auch kreative Ressourcen.
„Wir wollen Mode, die mehr hat. Mode, die blutet, die erschöpft, die dreht und meinetwegen bricht. Mode, die leuchtet, die sticht, die fetzt und unter Dehnung reißt. Mode muss schluchtig, feurig, glatt, hart, eckig, brutal, rund, zärtlich, farbig, obszön, geil, träumend, vernähend, verfernend, nass, trocken und herzschlagend sind. Lebend oder tot. Wenn sie kalt ist, dann kalt wie ein Eisblock. Wenn sie heiß ist, dann heiß wie ein Flammenflügel. Mode muss brennen.“
Wohl kaum eine andere Beschreibung als dieses von mir umgeschrieben Architektur-Zitat von Coop Himmelb(l)au passt so gut zur Arbeit von Isabel Vollrath.